Mein Leben mit AD(H)S

 

 

 

etwas, was ich bis vor ein paar Jahren gar nicht kannte.

Im frühen Kindesalter, genauer gesagt, als ich vier Monate alt war, passierte das erste Unglück. Ich riss einen Tauchsieder mit kochendem Wasser runter, der geradewegs im Kinderwagen landete. Das zog natürlich eine starke Verbrühung mit sich. Ob das schon die ersten Anzeichen auf ADS waren sei dahingestellt.

Ich fing mit 1 / 1,5 Jahren das Laufen an. Mit knappen 5 Jahren machte ich ziemlich viel Mist, an den andere Kinder in meinen Alter gar nicht dran zu denken wussten. So fuhr ich z.B. einen Trecker in den Graben, ließ ihn dort stehen, ging nach Hause und wusste von nichts. Ein anderes Mal steckte ich den elterlichen Hühnerstall in Brand oder ähnliche chaotische Sachen, an die ich mich heute lieber nicht mehr erinnern möchte. Ich muss laut Aussagen meiner Eltern und der Geschwister auch schon ziemlich hyperaktiv gewesen sein, denn laut Aussagen meiner Geschwister wurde ich im Kinderwagen festgeschnallt. Meine Eltern nahmen mich mit aufs Feld ( "Lass ihn man schreien, der beruhigt sich schon wieder." Originalaussage meines Vater), so begann mein Start ins Leben.

 

Als Kind hatte ich stets Machtkämpfe mit meinem jüngeren Bruder und war ziemlich impulsiv. Einmal sagte ich in einem Streit, der bei uns schon zur Tagesordnung gehörte, "Pass auf! Ich kann Karate!"

und schmiss ihn zu Boden, worauf sich mein Bruder gleich das Schlüsselbein brach. Ich war ziemlich impulsiv. Wir hatten ständig Machtkämpfe. Ich glaube, dass meine Mutter die nächsten Jahre ein gutes Abo zu unserem Arzt hatte. Der sagte aber immer zu meinen Eltern, "Ihr Kind ist ein bisschen lebhaft - aber das ist völlig normal!" Der hatte damals noch nichts von ADS gehört, wie soll er auch? Wir lebten auf dem Lande, 6 Familien und ein Arzt, na ja es war halt damals so. Da sich ähnliche Sachen ständig wiederholten war ich natürlich als "böses Kind" abgestempelt, ich war halt so, was konnte man da schon anderes erwarten!

 

Als ich in die Schule kam wurde schnell erkannt, dass da etwas nicht stimmte. Ich hatte ständig 1000 andere Dinge im Kopf, war ständig unkonzentriert und störte den Unterricht, indem ich ständig dazwischen quatschte. Das wurde in meinen Zeugnissen immer wieder bestätigt. Selbst da wurden meine Eltern nie auf das Thema ADS angesprochen.

Laut Aussage meiner früheren Lehrerin, die ich vor kurzem traf und auf meine Schulzeit ansprach, meinte," ich hätte gar nicht in die Sonderschule gehört, ich wäre ja nicht dumm gewesen, halt nur auffällig." Meine Eltern, denen sie das auch so gesagt hatte, wollten davon aber nichts wissen und schulten mich auf der Sonderschule ein. 

 

Dann kam meine Ausbildung.

Ich wurde von meinen Eltern einfach in ein Berufsbild reingequetscht. Es war der Beruf zum Straßenbauer. "Dat Kind muss doch was machen und wir haben ja einen Bekannten, der bringt den Jungen schon unter." Originalaussage meiner Eltern. Dieser Versuch scheiterte ziemlich schnell, weil ich dem Leistungsdruck überhaupt nicht gewachsen war. Das hatte zur Folge, dass ich meine Lehre nach 1 1/2 Jahren abbrach, was wiederum meine Eltern absolut nicht verstanden. Sie hatten nicht mal ein offenes Ohr für mich, warum ich diese Entscheidung getroffen hatte. 

Dann kam die Bundeswehr, wo man ebenfalls ziemlich schnell erkannte, dass mit mir etwas nicht stimmte. Ich wurde für untauglich erklärt . Jetzt kam die harte Arbeitswelt wieder auf mich zu und wieder mal das "große Glück" - dank meiner Eltern - wieder im Straßenbau zu arbeiten. Wo hatte man schon zu damaliger Zeit

DM 1400 netto - und das mit knapp 18 - das war schon was.

 

Die Jahre gingen ins Land. Mit Anfang 30 wurde ich entlassen, den Grund weiß ich bis heute nicht. Es muss wohl was mit meiner damals nicht erkannten ADHS Störung gewesen sein. Da halfen auch gute Beziehungen meiner Eltern nicht weiter. Ich fasste den Entschluss nach Hamburg zu ziehen, endlich auf eigenen Füßen stehen. Damit begann es dann auch gleich - im wahrsten Sinne des Wortes - ich musste eine beidseitige Fuß OP über mich ergehen lassen. Die Aussage des Arztes, dass ich nie wieder in Straßenbau arbeiten könne, war für mich ziemlich deprimierend. Dann lernte ich meine Frau kennen. (Wunderbare Frau ! Ohne ihre Hilfe wäre ich heute nie so weit wie ich jetzt bin. Sie hat immer ein offenes Ohr für mich und stärkt mich, wo sie kann. Ich liebe sie und meinen Sohn über alles.)

Sie hat sehr großes Verständnis für mein Problem, stößt jedoch oft genug an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, was unserer Ehe ebenfalls enorm viel abverlangt, insbesondere wenn man mal überlegt, wie viele Ehen deswegen in die Brüche gehen.

Wir machten uns dann gemeinsam auf den Weg, weil sie der Meinung war, dass mit mir - sozusagen - was nicht stimmte. 38 Jahre musste ich alt werden, um die Diagnose ADS zu erhalten! Endlich eine Erklärung für mein bis dahin reichlich chaotisches und zum größten Teil unglückliches Leben. ( Mal abgesehen von der Zeit mit meiner Frau ! )

 

Dann kam unserer Sohn, heute 5 Jahre, auf die Welt.

 Mein Sohn hat von mir ganz schön was abbekommen, seine Diagnose steht auch schon. Und er ist bereits in Therapie. Heute bin ich mit Leib und Seele Hausmann, da ich aus den oben erwähnten Gründen keine Arbeit habe, bin allerdings auch (sozusagen nebenberuflich ) Fotograf und stehe dem Thema ADS ganz offen gegenüber. Suche seit 2 Jahren eine für mich passende Therapie, hatte bisher allerdings noch keinen Erfolg. Für mich sind meine Frau und Sohn die größte Herausforderung und meine besten Therapeuten.

Ich möchte mich aber auch auf diesem Wege bei allen Gesprächskreisen, Internetforen zu dem Thema und Selbsthilfegruppen bedanken. Ohne Euch wäre ich schon lange ziemlich schnell am Ende gewesen. Da ich schon keine professionelle Therapie bekommen kann, seid Ihr für mich zu einer Art Ersatztherapie geworden, wie eine große Familie, die ich nie gehabt habe. ( Außer meiner kleinen eigenen natürlich!)

Macht weiter so! Ihr seid für mich, und ich denke ich spreche für viele andere Betroffene, eine große Stütze.

Danke

(eingegangen im Juni 2002)

 

 

 

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